#13 Agile Leadership Blogserie/Teil2: Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung – mit Praxisbeispielen Alexander Krieg Mai 3, 2023

#13 Agile Leadership Blogserie/Teil2: Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung – mit Praxisbeispielen

                  (Quelle: unplash.com)

Führung steht vor dem größten Wandel seit Jahrzehnten: Die Digitalisierung krempelt die Märkte um, dazu kommen Themen wie Nachhaltigkeit und Vielfalt, mit denen sich moderne Unternehmen auseinandersetzen müssen. Aber was ist eigentlich gute bzw. agile Führung? Gibt es bestimmte Charakteristiken?

Wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen bisher weitgehend. Diese Situation motivierte unser freiwilliges und unabhängiges Forschungsteam (Pascal Guckenbiehl, Alexander Krieg, Nils Prenner und Sven Theobald) dazu, uns dem Thema von wissenschaftlicher Seite zu nähern – mit dem Ziel, einen Beitrag zu leisten, der die vorhandene Lücke zwischen agiler Praxis und wissenschaftlichem Verständnis verkleinert. Die Ergebnisse unserer Workshop-Studie veröffentlichten wir im September im Beitrag “A Scientific Baseline for Agile Leadership – A Workshop Study” auf der PVM2022 Konferenz an der Hochschule Trier. Das Paper wurde mit dem “Best Paper Award” für den besten Beitrag der Konferenz prämiert.

In Teil 2 der Blogserie, möchte ich euch die Kategorie „Selbstorganisation“ vorstellen. Sie ist die speziellste unten den sieben Führungskategorien, die wir in unserer Studie ermittelt haben..

Die sieben Kategorien agiler Führung 

Bei der Auswertung und Clusterung der Workshopdaten ergab sich folgende 7 Kategorien.

Selbstorganisierte Teams arbeiten effektiver:

Während die anderen Kategorien einen grundlegenden Wandel in Fokus und Verhalten der agilen Führungskräfte betreffen, ist die Kategorie der „selbstorganisierten Teams“ neu. Sie ist die vielleicht bemerkenswerteste Veränderung, die moderne Unternehmen und insbesondere Führungskräfte während einer agilen Transformation etablieren müssen. So gab es selbstorganisierte Teams vor der Einführung von Agilität in den 1990er Jahren im Führungsbereich nicht explizit. Erste Ansätze für crossfunktionale und selbstorganisierte Teams wurden zwar bereits im zweiten Weltkrieg erprobt (Lookhead Martin – Skunk Works), diese setzten sich jedoch bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre nicht durch.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass agile Führung im Allgemeinen darauf abzielt, die Notwendigkeit von Führung auf die Teams zu übertragen. Selbstorganisierte Teams können in der Regel schneller auf Herausforderungen reagieren und sind so effektiver als hierarchische Teams. Doch der Weg dorthin ist ein Entwicklungsprozess, der einen Rahmen benötigt. Unterschiedliche Management-Frameworks können dabei unterstützen, Teams zu befähigen, selbstorganisiert zu arbeiten.

Zwei Methoden, um Selbstorganisation im Unternehmen zu steigern
 
1)    Objectives and Key Results  (OKR):

Ein gutes Beispiel zur Etablierung von Selbstorganisation innerhalb der Organisation, ist die Einführung von Objectives and Key Results (OKR). Dabei entscheiden Teams in einem durch die Organisation vorgegebenen, übergeordneten Rahmen (Company Objects = Ziele), welche der vorgegebenen Unternehmensobjekte sie fokussieren möchten. Sie erarbeiten dann eigene Bereichsziele (Team OKR), die auf die übergeordneten Ziele einzahlen. Auch die Herangehensweise zum Erreichen der Ziele steht ihnen frei. Die Praxis zeigt, dass Teams teilweise sechs bis zwölf Monate benötigen, bis sie die auf ihr Team übertragenen Kompetenzen sinnvoll umsetzen und das Verständnis wächst, dass die Team-OKR keine Fleißarbeit und auch keine Zusatzleistung sind, sondern einen zentralen und messbaren Teil der Wertschöpfungskette des Teams abbilden. Die Entwicklung von selbstorganisierten Teams ist ein Prozess, durch den Teams geführt werden müssen.

Praxisbeispiel:

Ein Kunde aus dem Bereich der Buslogistik hatte den Wunsch, seine Teams für die Selbstorganisation zu befähigen. Zuerst wurden drei Pilotabteilungen ausgesucht, die alle gemeinsam einen Einführungsworkshop in OKR erhielten. Es folgten mehrere Termine, um die jeweiligen Ziele der Abteilungen herauszuarbeiten, was sich bereits als große Offenbarung für die Mitarbeitenden der Bereiche und deren Führungskräfte herausstellte. Für die Teams war es eine spannende Erfahrung, selbstständig zu entscheiden, welche Ziele sie sich stecken wollen, wie sie diese erreichen und messen können. Die Erfahrung zeigt, dass viele Teams OKR zunächst als Zusatz- oder Fleißarbeit sehen, was ein großes Fehlverständnis ist. In der Regel erkennen sie nach einiger Zeit der Anwendung, dass OKR dabei helfen, klare Ziele zu formulieren, wichtige von nebensächlichen Tätigkeiten besser zu unterscheiden und auch dabei unterstützen, eine Strategie zu entwickeln, wie diese Ziele mit der Abteilung zu erreichen sind. In klassischen, hierarchischen Umgebungen obliegen diese Aufgaben dem Management.  

Die Entscheidung, mit zuerst wenigen Pilotteams zu starten, hatte zwei Gründe. Erstens sollte die Organisation nicht mit zu viel Neuerungen überlastet werden und zweitens sollten aus den Pilotteams interne OKR-Coaches hervorgehen, die mit ihrer Erfahrung aus der Pilotphase den späteren Abteilungen bei deren OKR-Einführung helfen sollen .

Aktuell haben die Pilotteams ihre Erfahrung in einem Gallery Walk mit ihren Kolleg:innen geteilt. Zudem hat die Führungsebene geplant, die OKR’s auf alle Teams auszuweiten, dabei fungieren die Pilotteams als Coaches und Unterstützer der Teams, die jetzt mit den OKR’s starten.

 
2) Delegation Poker

Eine weitere Möglichkeit zur Entwicklung von Selbstorganisation in Teams ist Delegation Poker. Es ist ein Instrument, das in agilen Teams häufig verwendet wird, um die Delegation von Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnissen zwischen Teammitgliedern und der Führungskraft zu erleichtern und zu klären.

Delegation Poker beinhaltet typischerweise eine Reihe von Karten, auf denen verschiedene Ebenen der Delegation dargestellt sind, wie z.B. „tell“ (sagen), „sell“ (verkaufen), „consult“ (beraten), „agree“ (zustimmen), „advise“ (empfehlen), „inquire“ (nachfragen) und „delegate“ (delegieren). Grundsätzlich wird eine Diskussion darüber angeregt, wer für welche Aufgaben und Entscheidungen verantwortlich ist und wer befugt ist, diese zu treffen. Am Ende des Spiels sollten alle Teammitglieder eine klare Vorstellung davon haben, wer für welche Aufgaben und Entscheidungen verantwortlich ist. So kann die Zusammenarbeit im Team verbessert und die Effektivität gesteigert werden.

Praxisbeispiel:

Ein Logistikunternehmen stellte einen erfahrenen Teamleiter ein, der ein bestehendes Team übernehmen sollte. Im Gegensatz zum Teamleiter hatte das Team aber bereits in mehreren agilen Projekten Erfahrung mit Selbstorganisation gesammelt. Nach einiger Zeit fühlte das Team sich zunehmend gemanagt und nicht auf Augenhöhe geführt, was zu einer großen Unstimmigkeit führte. Mit Hilfe von Delegation Poker wurde gemeinsam mit dem Team in mehreren Workshops eine Liste über alle anfallenden Themen und Entscheidungen aufgestellt, die wiederholt auftraten. Diese klare Übersicht verhalf im nächsten Schritt dazu, dass das Team gemeinsam mit seinem Teamleiter Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten genau zuweisen konnte. Wo übernimmt das Team, wo benötigt es Unterstützung durch den Teamleiter? Wann ist der Teamleiter dafür verantwortlich ist, Hindernisse zu beseitigen, die das Team dabei behindern, ihre Arbeit zu erledigen? Die Workshops hatten mehrere Effekte: So erhielt der Teamleiter einerseits viel mehr Freiraum für seine eigentliche Führungsarbeit, weil das Team ihm viele Managementthemen abnahm. Anderseits führten die Workshops dazu, dass das Team sich darauffolgend sehr viel wertgeschätzter fühlte. In der Folge wurde das Team zum Vorbild für andere Kolleg:innen.

 
OKRs vs. Delegation Poker:

Auch wenn beide Werkzeuge Selbstorganisation unterstützen, sind es zwei unterschiedliche Ansätze mit unterschiedlichen Zielen.

OKR (Objectives and Key Results) haben das Ziel, die Leistung und das Engagement von Mitarbeitenden und Teams in Organisationen zu steigern. Sie bieten klare und messbare Ziele sowie spezifische Ergebnisse, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind. Der Fokus auf gemeinsame Ziele und Ergebnisse verbessert die Zusammenarbeit und die Effektivität im Team. Die regelmäßige Überprüfung des Fortschritts und der Ergebnisse hilft, sicherzustellen, dass die Organisation auf Kurs bleibt und ihre strategischen Ziele erreicht werden. OKR sind ein wichtiger Treiber für die Motivation und das Engagement der Mitarbeitenden, da sie eine klare Vorstellung davon vermitteln, was von ihnen erwartet wird.

Das Ziel von Delegation Poker ist es, in agilen Teams die Delegation von Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnissen zu erleichtern und zu klären. Es ermöglicht eine Diskussion darüber, wer für welche Aufgaben und Entscheidungen verantwortlich ist und wer befugt ist, diese zu treffen. Das Spiel hilft dabei, sicherzustellen, dass die Erwartungen der Teammitglieder in Bezug auf ihre Verantwortlichkeiten und Befugnisse klar sind und dass es keine Missverständnisse gibt. Am Ende des Spiels sollten alle Teammitglieder eine klare Vorstellung davon haben, wer für welche Aufgaben und Entscheidungen verantwortlich ist, und was dazu beitragen kann, die Zusammenarbeit im Team zu verbessern und die Effektivität zu steigern.

Im dritten Teil der Blogserie:

Der letzte Teil der Blogserie geht auf die Punkte „Vision and Goals“, „Conditions and Frameworks“ sowie „Commitment of Top Management“ ein. Konkrete Praxisbeispiele werden darstellen, welches Potenzial hinter diesen Themen liegt und wie Ansätze zur Umsetzung gelingen können.

 

Einladung zur Teilnahme an unserer Studie „Status Quo agiler Führung“:

An dieser Stelle möchten ich auf die Teilnahme an der Workshop-Studie “Quo Vadis Agile Leadership” aufmerksam machen. Es gibt unzählige Fachbücher zum Thema agiles oder serviceorientiertes Führen in der VUCA Welt, aber nur wenige wissenschaftliche Belege für die Notwendigkeit einer neuen und nachhaltigen Führungskultur, genau hier setzt das Team mit seiner aktuellen Studie an. Es werden Unternehmen gesucht, die Interesse haben, mit ihrer Führungsebene an einem Inhouse Workshop teilzunehmen. Daneben ist jegliche Art der Unterstützung willkommen. nextOrange unterstützen das unabhängige Forschungsteam.

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