#10 Mobilität im Wandel: Wie Katja Diehl die Autokorrektur vorantreibt Boris Gloger Mai 30, 2022

#10 Mobilität im Wandel: Wie Katja Diehl die Autokorrektur vorantreibt

           (Quelle: Saarbrücker Zeitung)

Katja Diehl ist provokativ, bezieht Stellung und greift den Status quo an: Sie ist ohne Zweifel das Gesicht der Mobilitätswende. Wir haben uns vor ein paar Jahren auf Twitter kennengelernt und sind seitdem immer mal wieder im Austausch – so hat sie z. B. als Expertin auf einer Veranstaltung von borisgloger consulting einen Vortrag über “Mobilität in Grenzen des Wachstums” gehalten oder war zu Gast in meinem Podcast. Katja geht einen beeindruckenden Weg, steht mit ihrem Podcast #shedrivesmobility vehement für eine diverse und autofreie Mobilität ein und kämpft für eine lebenswertere Zukunft. Mit ihrem Buch “Autokorrektur” sorgt sie zurecht für Aufsehen – ob im Spiegel, beim Deutschlandfunk Nova oder in der Saarbrücker Zeitung

Klipp und klar auf den Punkt: Katja zeigt Missstände auf

 

Was ist ihr Erfolgsrezept? Katja spricht das Offensichtliche an, das dann doch niemandem auffällt: Sie sieht, dass die Mütter und Väter ihre Kinderwägen nicht auf den Gehwegen in Hamburg schieben können, weil SUVs die Wege versperren. Sie kommentiert, wie paradox eine Prämie für ein neues E-Auto sei, wenn gleichzeitig eine Bahncard 100 nicht subventioniert wird. Sie rechnet vor, dass die meisten großen Neuwagen von Firmen gekauft werden und wir alle, wirklich alle als Steuerzahler:innen diejenigen subventionieren, die sowieso schon üppige Gehälter haben. Sie sieht aber auch die Kleinigkeiten, die andere viel zu oft übersehen: „Es braucht dringend Vielfalt. Neue Verkehrsangebote wie MOIA sind nicht barrierefrei und schließen damit Menschen mit Mobilitätseinschränkungen aus. Viele Leihfahrräder – und das mag minimal klingen – haben keine Möglichkeiten, Taschen unterzubringen, die aber viele Frauen und auch Männer mitführen.“ (S. 72)  

Sie fragt sich also: Warum bauen wir unsere Städte für die Autos, statt für die Menschen, die in diesen Städten leben? Warum lassen wir zum Beispiel noch immer zu, dass Kinder im Straßenverkehr sterben, statt konsequent umzusetzen, was die Stadt Helsinki uns mit ihrer “Vision Zero” vormacht – nämlich so gut wie keine Verkehrstote, u.a. mit Hilfe von Tempolimits und dem Ausbau von nachhaltigem Verkehr. So konnte Helsinki 2019 tatsächlich null Verkehrstote vermelden.

Ein Plädoyer für Vielfalt, nicht gegen das Auto 

 

Das Buch Autokorrektur ist einerseits schonungslos. Andererseits versöhnlich. Katja fordert eine inklusive Mobilität, nicht die Abschaffung des Autos. Sie fragt: Welche Mobilitätsbedürfnisse muss eine moderne, digitalisierte Gesellschaft erfüllen, die alle mitnimmt? – Die Kinder, die Mütter, die Alten, aber auch die Jungen, körperlich behinderte Menschen, die Pendler, die Handwerker und auch Menschen, die unsere Sprache nicht so gut sprechen, und vielleicht sogar die, die keine Smartphone-Apps bedienen können.

„Ich möchte in einer Stadt wohnen, die versteht, dass Lebensqualität nicht am »Schnell-durch- die-Stadt-Fahren-und-billig-Parken« gemessen werden sollte, sondern an der Freude, in ihr spazieren zu gehen, Menschen zu begegnen, durchzuatmen und Ruhe zu genießen.“ – Katja Diehl, Autokorrektur 

Warum ist dieser Anspruch so schwer umzusetzen? Warum müssen Städte mit Superblocks (Barcelona) oder Hamburg mit Superbüttel erst Experimente starten, um die Mehrheit der Menschen in diesen Stadteilen zu überzeugen? Immer wieder zeigen die Erfahrungen, dass der Start solcher Initiativen sehr schwer ist. Es gibt z. B. Widerstand durch die Gewerbetreibenden. Hier ist der Klassiker: Die Verkehrsberuhigung würde dazu führen, dass weniger Konsument:innen den Weg in die Geschäfte finden. Fakt ist: Das Gegenteil ist der Fall. Fußgänger:innen und Radfahrer:innen bringen mehr Geschäft als Autofahrer:innen. Gegenwind kommt auch von den Verwaltungen, weil die Regeln so etwas nicht zuließen. Diese Veränderungen sind zu Anfang also viel teurer, weil so viel Zeit für Befragungen und Bürgerbeteiligungsaktionen aufgewendet werden muss. Und am Ende stellt sich dann wohl immer heraus: Wenn die Superblocks eingerichtet sind, die Quartiere wieder lebenswerter sind, wollen die Bewohner:innen dieser Stadtteile dort nicht mehr wegziehen. Denn dann ist die Stadt kinderfreundlicher, ruhiger, alle Bedürfnisse von Familien und älteren Bewohner:innen sind erfüllt. Also warum da wieder wegziehen?  

Aber es ist wohl wirklich so, wie es Gerald Hüther immer wieder sagt: Wir waren mit unseren Systemen so erfolgreich – in diesem Fall der Autoverkehr – dass der Erfolg eine einerseits untragbare Situation erzeugt hat: Verstopfte Städte, Umweltverschmutzungen, zu viele tote Kinder und längere Fahrzeiten, weil der SUV eben doch nicht durch den dichten Verkehr kommt. Andererseits hat er aber auch die Vorstellungskraft zerstört: Wir können uns nicht vorstellen, dass dieser “Erfolg”, der zu schlechter Luft und Hektik in den Städten geführt hat, durch einen radikalen Wechsel im Denken, umgekehrt dazu führen könnte, dass alle sogar ökonomisch etwas davon haben – zum Beispiel mit dem Anlegen von Superblocks. 

Katja stellt im Buch “Autokorrektur“ klar fest: Wenn wir lebenswertere Städte haben wollen, dann müssen wir dem Auto den Platz nehmen. Wir müssen Straßen rückbauen, Bäume auf Parkplätze stellen, Brunnen am Straßenrand bauen, Kinderspielplätze in die Kreuzungen integrieren und Fahrradstraßen den Autofahrer:innen abtrotzen – daran führt kein Weg vorbei.  

Und was haben wir davon? Der Erfolg dieser Maßnahmen wird in eine lebenswertere Stadt münden, die jedem Menschen seine Individualität zugesteht.   

Wer neugierig geworden ist: Beim Fischer Verlag steht eine Leseprobe von Katjas Buch bereit. 

Schreibe einen Kommentar
Your email address will not be published. Required fields are marked *